Veröffentlicht am Dienstag, 19. April 2022

Von Wegen

Von Wegen
Ich habe schon viele Wege beschritten. Sei es mit dem Auto, dem Rennrad oder wie ich es am liebsten habe, zu Fuss. Und auch hier waren die Wege sehr unterschiedlich. Von der breiten, asphaltieren Strasse über Feldwege, Waldwege, Wanderwege, Bergwege und Trails. Dabei trug ich unterschiedliches Schuhwerk. Je nachdem, wie schnell ich unterwegs war. Der Läuferschuh ist sicherlich der meistbenutzte Schuh, den ich schnürte. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich (fast) jeden Wald- und Wiesenweg im Umkreis von 20 Kilometer von meinem Zuhause schon mindestens einmal gelaufen bin. Viele Läufe habe ich allein absolviert oder mit einem guten Lauffreund. Wegen ihm bin ich sicherlich auch losgelaufen, wenn ich es doch eigentlich bequemer auf dem Sofa gehabt hätte. In meiner Zeit als Streakrunner betrug die gelaufene Distanz immer mindestens zwei Kilometer, aber oft ging es über 20 Kilometer. Bergläufe, Marathons und Ultras kamen dazu. Es war kein Weglaufen. Es war ein Ankommen. Ankommen bei mir.
 
In letzter Zeit habe ich den Wanderschuh wiederentdeckt. Am Morgen den Rucksack zu packen und mit dem Zug zum Ausgangspunkt zu fahren und dann loszulaufen, gibt mir sehr viel Energie und Kraft. Die Berge, die Stille, die Natur – dies ist meine Tankstelle.
 
Aber egal ob ich ein Läufer, ein Wanderer oder ein Spaziergänger bin. Eines haben diese Wege gemeinsam. Wenn ich starte, weiss ich genau, wohin der Weg mich führt. In meinem Trainingsplan steht nicht nur «Donnerstag, 10 Kilometerlauf», sondern «Donnerstag, Tivolirunde». Genauso wird es dann auch umgesetzt. Und wenn dann beispielsweise der Weg an der Aare entlang gesperrt ist, dann bin ich genervt. Oder wenn ich mit meinem Lauffreund unterwegs bin und er plötzlich sagt, dass wir auch hier mal links abbiegen können, dann stört mich das. Und das ist eigentlich ganz untypisch für mich. Ich bezeichne mich als offen und flexibel. Kann mit neuen Situationen gut umgehen. Ich sehe eine Veränderung immer als Chance und gehe auch sonst Positiv durchs Leben. Doch bei den Läufen oder Wanderungen verfolge ich den im Vorfeld definierten Weg konsequent. Den Weg zu kennen, gibt mir Halt. Ich kann die Wegstrecke genau einteilen, weiss, wie weit es noch geht, wo ein Anstieg kommt, wo eine schwierig zulaufende Stelle ist und wann ich beschleunigen kann. Und ich kann eine 20-Kilometer-Strecke in Teilziele unterteilen. Erstes Teilziel «Krähenbrücke», zweites Teilziel «steiniger Weg», drittes Teilziel «Schwarzkopf» etc. Diese Teilziele machen den langen Lauf überschaubarer.
 
Das grosse Ziel in kleinere Teilziele aufzusplitten, ist nicht nur bei Läufen sinnvoll, sondern kann auch gut ins private oder geschäftliche Umfeld adaptiert werden. Wenn man beispielsweise 20 Kilogramm abnehmen möchte, dann ist diese Zahl unglaublich hoch und kann den ganzen Prozess hemmen. Deshalb kleinere Schritte definieren. Zuerst vier Kilogramm schaffen. Dann weitere vier. Natürlich darf man das grosse Ziel nie aus den Augen verlieren. Mit Zwischenschritten wird es aber einfacher und gibt auch Erfolgserlebnisse. Das motiviert wiederum, das grosse Ziel zu erreichen.
 
Trotz meiner Planung waren meine privaten, geschäftlichen und sportlichen Wege nicht immer von Erfolg gekrönt. Natürlich nicht. Eine vermeidliche Abkürzung entpuppte sich als langer Umweg und andersrum war ein Umweg oft der direkte Weg zum Ziel. Jeden Weg, den ich gehe, führt mich nicht weg von mir, sondern bringt mich näher zu mir. Deshalb werde ich weiterhin meine Läuferschuhe, meine Wanderschuhe und meine Turnschuhe schnüren und hinaus in die Welt gehen. Und vielleicht schaffe ich es auch ein- bis zweimal nicht den geplanten Weg zu gehen, sondern bei einer Verzweigung den anderen, den neuen Weg zu gehen und zu sehen, wohin er mich führt.
 
Wir sehen uns – draussen. Auf alten und neuen Wegen. Wegen all den Abenteuern, die man nur draussen erlebt.


 
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Autor: Edi Westphale